Samstag, 28. Januar 2012

Tim kümmert sich

„Hol ihn!“ Tim warf den Ball. Flocke jagte hinterher und brachte ihn zurück. Immer wieder rannte der kleine Hund. Schließlich nahm Tim ihn wieder an die Leine und ging auf das Haus zu. Frau Martens, ihre Nachbarin, öffnete ihnen die Tür. Auf Krücken humpelte sie mit ihrem Gipsbein in die Küche. „Gut, das ich euch habe, alleine könnte ich mich nicht versorgen.“
Tim stellte den Korb mit den Einkäufen auf den Küchentisch und räumte Milch, Eier und Aufschnitt in den Kühlschrank.
„Aber Sie haben doch Kinder“, widersprach er.
„Peter muss viel arbeiten. Und Renate lebt in Neuseeland.“
Tim nickte. Mutter meinte immer, Peter würde sich nicht um seine Mutter kümmern, aber das behielt Tim lieber für sich. An Renate erinnerte er sich nur noch dunkel, sie war vor fünf Jahren fortgezogen.
„Nina kommt nachher vorbei. Ich muss jetzt zum Fußball!“ Tim sprang pfeifend die Stufen beim Hauseingang hinab und rannte zu ihrem Haus hinüber.
Das Fußballtraining war wieder klasse. Tim schoss sogar ein Tor. Daheim hörte Mutter ihm gar nicht richtig zu, als er davon erzählte.
„Mama, was ist los?“, fragte er.
„Flocke ist tot!“ Nina kam die Treppe hinunter.
„Frau Martens bat mich, sie zur Tierklinik zu fahren. Aber es war zu spät, Flocke hatte Rattengift gefressen.“



"Tim kümmert sich" ist in "Die Krimizimmer(ei)", Papierfresserchens MTM-Verlag, veröffentlicht worden.

Sonntag, 15. Januar 2012

Der kleine Stern

Der kleine Stern war viel jünger und kleiner als seine sechs Geschwister. Tags, wenn die Sonne schien, schliefen sie und nachts spielten sie.
Wenn sie müde wurden, blieben sie stehen und betrachteten die Erde. Sie sahen beleuchtete Häuser und Straßen. Eisenbahnen huschten über Felder und Wälder. Große Schiffe fuhren über die Meere. Immer entdeckten sie etwas Neues.
Ein Bruder wollte gern einmal mit der Eisenbahn fahren. Aber das ging nicht. Die Erde war viel zu weit weg. So spielten sie weiter am Himmel.
Im Herbst wurde die Sonne schwächer, deshalb konnten sie die Erde schon früher sehen. Da waren die Menschen noch wach. Sie hasteten über Straßen, spielten Fußball und kletterten auf Berge.
Eine Schwester wollte am Strand Drachen steigen lassen. Aber das ging nicht. Die Erde war viel zu weit weg.
Eines Tages entdeckte der kleine Stern einen Spielplatz. Kinder rutschten auf Rutschen, schaukelten auf Schaukeln und wippten auf Wippen. Wie gern hätte der kleine Stern da mitgespielt. Aber das ging nicht. Die Erde war viel zu weit weg.
Der kleine Stern überlegte. Er wollte den Spielplatz unbedingt besuchen. Am Morgen als die Sonne schien und die Sterne deswegen nicht so gut sehen konnten, schlich der kleine Stern davon. Seine Mutter, sein Vater und seine Geschwister schliefen. Erst ging er langsam, dann immer schneller. Schließlich rannte er. Er musste sich beeilen. Kurz bevor die Sonne schlafen ging, erreichte er sein Ziel. Auf den letzten Sonnenstrahlen rutsche er hinunter und landete im Sandkasten des Spielplatzes. Jetzt war es dunkel. Der Mond versteckte sich hinter Wolken. Nur der kleine Stern leuchtete. Er rannte zur Schaukel, setzte sich auf das Brett und stieß sich ab. Er beugte sich vor und zurück. Langsam bekam er Schwung. An der höchsten Stelle juchzte er vor Freude. Lange schaukelte er. Dann versuchte er zu wippen. Aber es klappte allein nicht. Weiter lief er zur Rutsche. Immer wieder kletterte er hoch und rutschte herab. Anschließend hopste er zum Karussell, schob es an, sprang auf und ließ sich drehen. Er balancierte über die Hängebrücke, kletterte den Burgturm hoch, kroch über das Spinnennetz. Die ganze Nacht spielte er.
Als die Sonne aufging, lief er zur Schaukel und nahm Schwung. Er sprang ab, hoch in die Luft und landete auf einem Sonnenstrahl. Auf dem Strahl stieg er in den Himmel. Immer weiter lief er. Am Abend erreichte er seine Eltern und seine sechs Geschwister. Müde legte er sich hin und schlief sofort ein.


© Annette Paul

"Der kleine Stern" ist in "Noch mehr Gute Nacht Geschichten", Wurdack Verlag, veröffentlicht worden.

Sonntag, 8. Januar 2012

Goldhamster Goldi

Bild von Krisi Sz.-Pöhls
„Musst du blödes Vieh so einen Lärm machen?", schreit das Mädchen mich an. Dabei laufe ich doch nur etwas herum. Viel Platz ist hier nicht. Also muss ich meinen Laufdrang in diesem dämlichen Rad abarbeiten. Lieber würde ich daheim in der Wüste herumrennen. Dabei kenne ich sie gar nicht. Ich bin nämlich hier geboren. Und blöd bin ich schon gar nicht. Ich habe mich schließlich nicht in diesem kleinen Käfig eingesperrt.
Das Mädchen zerrt an dem Käfig. Vorsichtshalber flüchte ich in meine Höhle. Ängstlich spähe ich hinaus. Sie zieht den Käfig aus ihrem Zimmer hinaus. Jetzt stehe ich in einem Raum ohne Fenster, aber mit ganz vielen Türen. Das Mädchen verschwindet wieder und bald darauf ist es ruhig. Trotzdem warte ich noch eine Weile, bis ich mich hinaustraue. Misstrauisch schaue ich mich um. Erst als alles ruhig bleibt, steige ich wieder in das Rad und laufe noch ein paar Kilometer. Ich will schließlich meine schlanke Linie behalten. Irgendwann, die Nacht muss schon vorbei sein, werde ich müde und verkrieche mich in meine Höhle.
Noch im Halbschlaf höre ich Schritte. Dann scheppert es und der ganze Käfig wackelt. Vor Schreck falle ich fast in Ohnmacht. Eine Männerstimme schimpft. „Wer stellt den Käfig einfach in den Weg? Marie!"
Er reißt die Tür auf und das Mädchen sagt etwas. Es klingt recht mürrisch. Eine Weile reden sie miteinander. Schließlich zerrt es den Käfig wieder in das Zimmer zurück. Jetzt ist es überall laut und hektisch. Ich komme gar nicht zum Schlafen. Diese Menschen laufen hin und her und unterhalten sich lautstark. Dabei nehmen sie überhaupt keine Rücksicht auf mich. Irgendwo spielt Musik. Immer sind sie laut. Haben sie denn keine Angst, entdeckt zu werden? Endlich kehrt Ruhe ein. Ich fresse noch ein Stückchen Apfel. Dann verkrieche ich mich in die Höhle und baue mir ein gemütliches Nest. Bald darauf schlafe ich tief ein.

Jemand wühlt in meinem Nest herum. Erschrocken fahre ich zusammen und bleibe still liegen.




Leseprobe aus "Immer diese Menschen", illustriertes Kinderbuch für Erstleser. Erhältlich bei Amazon, itunes

Illustrationen von Krisi Sz.-Pöhls

Sonntag, 1. Januar 2012

Die Tränendiebe

Diana schob schnell die Fertiggerichte in die Mikrowelle, dann deckte sie den Tisch und füllte die Waschmaschine. Ihr kleiner Bruder Sebastian würde bald nach Hause kommen und die Eltern verlangten von der vier Jahre älteren Diana, sich um ihn zu kümmern.
Diana hatte sich nie überlegt, wie es wäre, keinen Bruder zu haben oder keine Pflichten im Haushalt. Schließlich gehörte es dazu. Von jedem wurde höchste Effizienz erwartet. Und Diana funktionierte perfekt wie ein Roboter.
Nach dem Essen deckte Sebastian pfeifend den Tisch ab und räumte die schrankfertige Wäsche weg. Bevor er wie jeden Tag zur Körperschulung ging, erledigte er noch zuverlässig seine Hausaufgaben.
Gemeinsam verließen die beiden Geschwister die Wohnung. Sie unterhielten sich über die Vor- und Nachteile des neuen Computerprogrammes Schola 2100. Vor der Schule trennten sie sich. Sebastian ging zur Sporthalle, während Diana den Computerraum ansteuerte.
An ihr war eine besondere logische Begabung festgestellt worden und so erhielt sie zusätzlichen Programmierunterricht, um später der Gesellschaft besonders zu dienen. Dafür war ihre Körperschulung um die Hälfte gekürzt worden.
Während sie ihr Programm schrieb, überlegte sie, wie unsinnig die demnächst stattfindenden Kampfspiele waren.
Ihre Eltern hatten ihre Fragen mit dem Hinweis „Das verstehst du noch nicht“ abgeschmettert. Seitdem erwähnte Diana sie daheim nicht mehr.
Diana beschloss, sich bei ihrer Großmutter zu erkundigen, wie sie es oft tat. Ihre Großmutter war noch anders. Damals hatte die Genauswahl noch nicht hundertprozentig geklappt. Deshalb war die Generation ihrer Eltern auch in Heimen aufgewachsen. Der Staat wollte den Einfluss der emotional nicht so gefestigten Eltern kleinhalten. Inzwischen waren solche Maßnahmen nicht mehr erforderlich.


Leseprobe aus "Albtraum der gestohlenen Gefühle", erhältlich bei Amazon