Sonntag, 15. April 2012

Der Nachbar

„Herr Meyenbach, könnten Sie bitte..."
„Nein", unterbrach sie der Alte.
„Meine Mutter kann es nicht mehr selbst", bat Inge.
„Mir hilft auch keiner." Herr Meyenbach zog seine zottigen Brauen zusammen.
„Ich dachte, die Arbeit im Garten würde Ihnen Freude machen", fuhr Inge fort. Sie atmete tief durch. Warum machte der Alte ihr immer noch Angst?
„Der Garten?"
„Nach dem Schlaganfall kann meine Mutter ihn nicht mehr versorgen, aber sie hängt so an ihm. Für Sie ist es doch auch netter, wenn er gepflegt aussieht."
Herr Meyenbach brummelte vor sich hin und schlug die Tür zu.
Enttäuscht ging Inge die Treppe hinunter. Musste der Alte so eklig sein?
Als sie ein paar Stunden später in der Küche das Abendessen richtete, sah sie aus dem Fenster und staunte nicht schlecht.
Herr Meyenbach stützte sich auf den Spaten, wischte sich mit einem karierten Taschentuch die Stirn ab und betrachtete das umgegrabene Beet.
Hörte sie ihn wirklich pfeifen?

"Der Nachbar" ist eine Leseprobe aus:

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