Sonntag, 23. Dezember 2012

Engelchen hilft dem Christkind


 
„Petrus, bitte, ich möchte mit dem Christkind auf die Erde fliegen.“ Engelchen hüpfte aufgeregt von einem Bein auf das andere. Dabei versuchte es sich zu strecken, um größer zu wirken, als es wirklich war.
Petrus schüttelte seinen Kopf mit den langen weißen Haaren und dem weißen Vollbart.
„Petrus, ich brauche noch einen Hilfsengel. Ruben und Anna müssen bei den Schutzengeln aushelfen und können mich nicht begleiten.“ Das Christkind lächelte Petrus sanft an.
Streng mustere Petrus Engelchen. „Willst du dich wirklich um diesen Kleinen kümmern?“
„Ich bin auch ganz brav und mache alles, was du sagst“, flüstere Engelchen. Mit weit aufgerissenen Augen schaute es das Christkind an.
„Irgendwann muss er es sowieso lernen.“ Das Christkind legte Petrus eine Hand auf die Schulter.
Jubelnd flatterte Engelchen um das Christkind und Petrus herum.
„Es wird dir mehr Arbeit machen, als abnehmen“, murrte Petrus und rieb sich seinen Rücken.
Das Christkind lächelte leise, dann reichte es Engelchen einen Sack, nicht ganz so groß wie sein eigener. „Bleib in meiner Nähe“, wies es Engelchen an. Mit einer Handbewegung bat es die ältere Elisa auf Engelchen aufzupassen.
Sie flogen zu den Menschen auf die Erde. Bei einigen Familien stellten sie Pakete vor die Türen, bei anderen schwebten zwei, drei Engel ins Wohnzimmer und legten die Geschenke unter den geschmückten Christbaum.
Manchmal schmückten sie sogar den Baum. Engelchen durfte Elisa begleiten, begeistert hängte es Christbaumkugeln, Kerzen und Engelshaare auf.
„Warum sind sie so klein?“, fragte es.
„Weil sich nicht alle Menschen einen großen Baum leisten können.“ Elisa verteilte die Geschenke unter dem Baum.
„Und warum ändern wir es nicht?“ Engelchen stand vor der Tür und wollte nicht mehr mitfliegen.
„Komm, wir müssen uns beeilen. Die Kinder warten schon“, drängte Elisa.
„Nicht, wenn wir so ungerecht sind.“ Engelchen hätte Tränen in den Augen.
„Engelchen, komm, das nächste Kind besuchen wir gemeinsam.“ Das Christkind winkte ihm.
Sofort flog Engelchen zum Christkind und blieb dicht bei ihm.
Bei einem großen Haus mit mehreren Wohnungen öffnete das Christkind ein Fenster, schlüpfte hinein und schloss es hinter Engelchen. Es legte einen Finger auf den Mund und schritt in eine dunkle Ecke, in der ein Kinderbett stand. Ein kleiner Junge warf sich darin unruhig hin und her. Sein Gesichtchen war rot, der Atem ging stoßweise. Nass klebten seine Haare am Kopf.
Das Christkind setzte sich auf den Bettrand und legte eine Hand auf die Stirn des Kindes. Sofort beruhigte der Junge sich, atmete tief und regelmäßig. Die Röte im Gesicht verflog.
Das Christkind legte ein kleines Päckchen neben das Bett und verließ den Raum.

Sie kamen an einem alten baufälligen Haus vorbei, in dem zwei Männer in abgewetzten Jacken vor einem offenen Feuer saßen. Die Engelschar flog vorbei. Keiner kümmerte sich um die beiden Alten.
Engelchen tastete in seinem Sack herum, bis es ein großes weiches Paket fand, das zog es heraus und warf es durch das zerbrochene Fenster. Erstaunt sahen die Männer hoch, hoben das Geschenk auf und packten es aus.
„Eine Decke, der Herrgott hat uns eine Decke geschenkt“, rief der eine.
Die beiden rückten eng zusammen und hüllten sich gemeinsam ein.
Engelchen beeilte sich, die anderen einzuholen. Bei einer alten Dame griff Elisa in Engelchens Sack. Als sie das Geschenk nicht fand, suchte und kramte sie herum. Schließlich schüttete sie den ganzen Sack aus, aber das gewünschte Paket blieb verschwunden.
„Hast du die Decke verloren?“, fragte Elisa.
Engelchen senkte den Kopf. Sein Gesicht lief rot an. Die Wohnung der Frau war klein, die Möbel alt und abgenutzt.
„Nein, das Paket ist hier.“ Das Christkind tauchte hinter Engelchen auf und reichte Elisa ein Paket wie das, was Engelchen den beiden Männern geschenkt hatte.
Elisa atmete auf und legte das Geschenk auf den Tisch, daneben stellte es eine Kerze mit einem Tannenzweig.
Das Christkind legte Engelchen eine Hand auf die Schulter. „Du hast ein gutes Herz“, flüsterte es.
Engelchen straffte sich, so dass es gleich zwei Fingerbreit größer wurde und lächelte das Christkind dankbar an.



© Annette Paul

Sonntag, 9. Dezember 2012

Der Anzug ist eingelaufen



Die Weihnachtsbäcker waren in diesem Jahr besonders emsig und jedes Mal erhielt der Weihnachtsmann ein paar Proben. Auch die Köche schickten ihm ständig ihre neusten Weihnachtskreationen, dabei herrschte doch noch Fastenzeit. Selbst Nikolaus füllte nicht nur seine Stiefel, sondern stellte seinem Kollegen einen großen Sack mit übriggebliebenen Süßigkeiten vor die Tür. Die Versuche, sie an die Wichtel zu verteilen, scheiterten. „Danke, ich esse schon seit Wochen Schokoladenweihnachtsmänner, ich kann keine Schokolade mehr sehen“, meinte Waldemar.
„Mir wird schon übel, wenn ich die Kekse nur rieche“, meinte Sigurd.
Sogar Gertrud schüttelte den Kopf, als der Weihnachtsmann sie bat, den Gänsebraten an Wirsing mit Madeira-Soße zu probieren.
„Ich esse seit drei Tagen nur noch trockenes Knäckebrot und Obst.“
Also musste der Weihnachtsmann wirklich alles selber probieren und beurteilen.
„Du solltest abnehmen“, riet Waldemar. Der Weihnachtsmann war so erbost, dass er ihn aus dem Büro wies.
Ein paar Tage später riet der Arzt zur Nulldiät, wollte aber selbst weder Kekse noch Weihnachtsbraten verköstigen.
„Ich werde gleich nach Weihnachten mit einer Diät beginnen. Aber jetzt geht es nicht. Essen gehört halt zu meinem Beruf. Ich habe schon versucht, zu delegieren, aber keiner wollte mich unterstützen.“
Sein Anzug spannte immer mehr. Gertrud wies ihn besorgt darauf hin.
„Ich kann nicht abnehmen, gerade jetzt, wo ich doch alles probieren muss.“
„Zieh wenigstens einmal deinen guten Anzug an, jetzt können wir ihn noch umändern.“
Der Weihnachtsmann nickte. Doch er war viel zu beschäftigt und nach ein paar Stunden dachte er nicht mehr daran.
Am Heiligabend überwachte er das Beladen der Fahrzeuge und das Füttern der Rentiere. Erst im allerletzten Augenblick hetzte er in seine Hütte. Gertrud hatte schon seinen Anzug, frisch gebügelt bereit gelegt, nebst neuen, frische geputzten Stiefel und der Mütze.
Er sprang eilig in die Hose. Doch er kam schon kaum mit den Beinen hinein. Der Bund ließ sich überhaupt nicht schließen. Da fehlten mindestens fünf Zentimeter.
„Gertrud“, brüllte er.
Die treue Seele kam sofort angeschossen.
„Was ist das?“
„Ich habe dich gewarnt“, sagte Gertrud.
„Der Anzug ist eingelaufen. Das ist noch nie passiert.“
Gertrud holte tief Luft. „Ich habe dich doch gebeten, ihn einmal anzuprobieren.“
Waldemar flog mit dem Hubschrauber zum nächsten Kaufhaus, aber es hatte schon geschlossen.
Sie schickte den kleinen Wichtel zu der Nähwerkstatt. Einen Augenblick später standen drei der Schneidermeisterinnen um den Weihnachtsmann und überlegten, wie sie Heiligabend retten konnten.
„Der Umhang von Knecht Ruprecht“, schlug Ilse vor.
„Ruprecht ist doch so ein hagerer Kerl“, meckerte der Weihnachtsmann.
„Aber er hat einen weiten Umhang. Leider entspricht die Farbe nicht dem heutigen Modetrend.“
„Nein!“, sagte der Weihnachtsmann entschieden.
Die Schneiderinnen zogen sich zurück und beratschlagten. Schließlich schlossen sie die Hose mit einem Lochgummi für Schwangere.
„Hauptsache die Jacke passt“, murmelte eine von ihnen.
„Du darfst sie auf keinen Fall ausziehen“, schärfte Ilse ihm ein.
Zu viert hievten sie ihn in die Jacke. Mit angehaltener Luft gelang es, sie zu schließen. Er konnte nur noch mit kleinen Schritten zu den ungeduldig mit den Hufen scharrenden Rentieren gehen. „Keine Anstrengung, keine Aufregung und immer gerade stehen“, gab ihm Berta, die Obermeisterin mit auf dem Weg.



© Annette Paul