Sonntag, 9. Dezember 2012

Der Anzug ist eingelaufen



Die Weihnachtsbäcker waren in diesem Jahr besonders emsig und jedes Mal erhielt der Weihnachtsmann ein paar Proben. Auch die Köche schickten ihm ständig ihre neusten Weihnachtskreationen, dabei herrschte doch noch Fastenzeit. Selbst Nikolaus füllte nicht nur seine Stiefel, sondern stellte seinem Kollegen einen großen Sack mit übriggebliebenen Süßigkeiten vor die Tür. Die Versuche, sie an die Wichtel zu verteilen, scheiterten. „Danke, ich esse schon seit Wochen Schokoladenweihnachtsmänner, ich kann keine Schokolade mehr sehen“, meinte Waldemar.
„Mir wird schon übel, wenn ich die Kekse nur rieche“, meinte Sigurd.
Sogar Gertrud schüttelte den Kopf, als der Weihnachtsmann sie bat, den Gänsebraten an Wirsing mit Madeira-Soße zu probieren.
„Ich esse seit drei Tagen nur noch trockenes Knäckebrot und Obst.“
Also musste der Weihnachtsmann wirklich alles selber probieren und beurteilen.
„Du solltest abnehmen“, riet Waldemar. Der Weihnachtsmann war so erbost, dass er ihn aus dem Büro wies.
Ein paar Tage später riet der Arzt zur Nulldiät, wollte aber selbst weder Kekse noch Weihnachtsbraten verköstigen.
„Ich werde gleich nach Weihnachten mit einer Diät beginnen. Aber jetzt geht es nicht. Essen gehört halt zu meinem Beruf. Ich habe schon versucht, zu delegieren, aber keiner wollte mich unterstützen.“
Sein Anzug spannte immer mehr. Gertrud wies ihn besorgt darauf hin.
„Ich kann nicht abnehmen, gerade jetzt, wo ich doch alles probieren muss.“
„Zieh wenigstens einmal deinen guten Anzug an, jetzt können wir ihn noch umändern.“
Der Weihnachtsmann nickte. Doch er war viel zu beschäftigt und nach ein paar Stunden dachte er nicht mehr daran.
Am Heiligabend überwachte er das Beladen der Fahrzeuge und das Füttern der Rentiere. Erst im allerletzten Augenblick hetzte er in seine Hütte. Gertrud hatte schon seinen Anzug, frisch gebügelt bereit gelegt, nebst neuen, frische geputzten Stiefel und der Mütze.
Er sprang eilig in die Hose. Doch er kam schon kaum mit den Beinen hinein. Der Bund ließ sich überhaupt nicht schließen. Da fehlten mindestens fünf Zentimeter.
„Gertrud“, brüllte er.
Die treue Seele kam sofort angeschossen.
„Was ist das?“
„Ich habe dich gewarnt“, sagte Gertrud.
„Der Anzug ist eingelaufen. Das ist noch nie passiert.“
Gertrud holte tief Luft. „Ich habe dich doch gebeten, ihn einmal anzuprobieren.“
Waldemar flog mit dem Hubschrauber zum nächsten Kaufhaus, aber es hatte schon geschlossen.
Sie schickte den kleinen Wichtel zu der Nähwerkstatt. Einen Augenblick später standen drei der Schneidermeisterinnen um den Weihnachtsmann und überlegten, wie sie Heiligabend retten konnten.
„Der Umhang von Knecht Ruprecht“, schlug Ilse vor.
„Ruprecht ist doch so ein hagerer Kerl“, meckerte der Weihnachtsmann.
„Aber er hat einen weiten Umhang. Leider entspricht die Farbe nicht dem heutigen Modetrend.“
„Nein!“, sagte der Weihnachtsmann entschieden.
Die Schneiderinnen zogen sich zurück und beratschlagten. Schließlich schlossen sie die Hose mit einem Lochgummi für Schwangere.
„Hauptsache die Jacke passt“, murmelte eine von ihnen.
„Du darfst sie auf keinen Fall ausziehen“, schärfte Ilse ihm ein.
Zu viert hievten sie ihn in die Jacke. Mit angehaltener Luft gelang es, sie zu schließen. Er konnte nur noch mit kleinen Schritten zu den ungeduldig mit den Hufen scharrenden Rentieren gehen. „Keine Anstrengung, keine Aufregung und immer gerade stehen“, gab ihm Berta, die Obermeisterin mit auf dem Weg.



© Annette Paul