Sonntag, 14. Juli 2013

Die gestohlene Kette

Mutter schnitt im Garten ein paar Blumen für die Vase
ab. „Tim, bringe bitte die Tulpen zu Frau Reichelt. Sie freut
sich sicher darüber.“
Tim nahm die Blumen und sprang zur Nachbarin. Frau
Özgün, die Putzfrau, öffnete die Tür. „Für Frau Reichelt. Wir
haben so viele davon“, sagte Tim.
„Komm rein, ich koche dir einen Kakao“, sagte Frau Özgün.
„Und einen Kaffee für uns Erwachsene“, sagte Frau Reichelt.
Sie kam mit einem Staubtuch bewaffnet in die Küche.
Im Hintergrund kreischte eine Bohrmaschine. „Herr Özgün
ist so lieb und hängt ein Bild für mich auf. Den Wasserhahn
hat er schon repariert. Ich bin so froh, Familie Özgün
gefunden zu haben.“ Sie lächelte ihre Putzfrau an.
„Ich arbeite gern für Sie.“
Tim setzte sich an den Küchentisch und die Erwachsenen
setzten sich dazu. Frau Özgün schnitt einen Kuchen an. „Du
bist so alt wie unser jüngster Sohn“, sagte sie.
„Bringen Sie ihn mit, dann können wir zusammen spielen“,
schlug Tim vor. Frau Özgün nickte und versprach es.
Am Nachmittag sah Tim sie zu Frau Möller hinübergehen.
„Frau Özgün arbeitet jetzt auch für Frau Möller, die
hatte schon lange nach einer Hilfe für den Haushalt gesucht
und Frau Reichelt hat sie so gelobt.“
„Sie ist sehr nett.“
„Und fleißig, sagt Frau Reichelt.“
Zwei Tage später sah Tim, wie Frau Reichelt mit Frau
Möller sprach. Als er vorbeiging und sie grüßte, machte
Frau Reichelt einen verärgerten Eindruck.
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Am Abend erzählte Mutter, dass bei Frau Möller Schmuck
gestohlen worden war.
„Was sagt die Polizei?“, fragte Nina, Tims Schwester.
„Soviel ich weiß, war sie gar nicht bei der Polizei. Sie sagte,
es ist nicht eingebrochen worden.“
„Bestimmt hat sie ihn selbst verlegt“, meinte Tim und
Nina nickte.
„Kannst du mir bitte Milch mitbringen?“, bat Frau Reichelt
am nächsten Tag, als Tim den Einkaufskorb auf den
Gepäckträger seines Fahrrads befestigte.
„Natürlich. Bringt Frau Özgün sie nicht mit?“ Normalerweise
besorgte Frau Özgün für Frau Reichelt die schweren
Einkäufe.
„Sie kommt nicht. Sie will nicht mehr für mich arbeiten.“
Tim stand schon mit einem Fuß auf dem Pedal und wollte
losfahren. Jetzt stieg er wieder ab. „Wieso denn? Sie
wollte doch ihren Sohn mitbringen, damit wir zusammen
spielen können.“
„Sie hat Angst und ist wütend, weil ihr unterstellt wird,
dass sie geklaut hat.“
„Aber sie hat es nicht.“
„Nein, Özgüns sind ehrlich, herzensgut und hilfsbereit.
Ihr Mann hat schon öfter bei mir etwas repariert. Und
wenn sie nicht kann, schickt sie ihre älteste Tochter. Das
Mädchen geht auf die Realschule und ist sehr nett.“
„Haben Sie es ihr gesagt?“
„Natürlich. Ich weiß gar nicht, was ich ohne sie machen
soll. Sie will nicht mehr in dieser Siedlung arbeiten, da hier
Gerüchte über sie verbreitet werden.“
„Aber Sie können doch nichts dafür.“ Tim schüttelte den
Kopf.
„Ich hoffe, sie überlegt es sich noch einmal.“
(...)


Leseprobe aus  "Die „Krimizimmer(ei) Bd. 2", Hrsg. Martina Meier, Papierfresserchens MTM-Verlag GbR, ISBN: 978-3-86196-221-2