Sonntag, 26. Oktober 2014

Wegsehen



Wie gewohnt verdrängte Gerhard den Gedanken. Was hätte er schon tun können? Und was half es, jetzt darüber nachzugrübeln? Was geschehen war, war geschehen. Fluchend knallte er das Buch auf den Tisch. Er konnte sich nicht darauf konzentrieren. Immer wieder erschienen die Bilder vor seinem geistigen Auge.
Genervt schaltete Gerhard den Fernseher an. Ein Bericht über Afrika. Er zappte weiter, ein Krimi mit einem Farbigen. Gab es denn nichts Neutrales? Die Erinnerungen drängten sich machtvoll auf, ließen sich nicht mehr wegschieben. Damals auf dem Bahnhof, als ein Farbiger verprügelt wurde und alle wegschauten. Auch er. Der Junge hatte ihn hilfesuchend angesehen, Augenkontakt gesucht. Doch Gerhard konnte sich nicht einmischen. Drei gegen einen! Und sie waren mit Baseballschlägern und Fliegerstiefeln bewaffnet gewesen. Die anderen Passanten waren gleich weitergeeilt, hatten so getan, als ob sie nichts bemerkten. Nur er hatte kurz gezögert. Als aber zwei der Schläger ihn drohend anblickten und der eine auch noch mit seinem Baseballschläger spielte, ging Gerhard weg.
Als er sich sicher glaubte, drehte er sich um. Vom anderen Ausgang liefen Polizisten auf die Gruppe zu. Die Männer flüchteten, ließen ihr Opfer regungslos am Boden zurück. Also hatte jemand Hilfe herbeigerufen. Gerhard fühlte sich beschämt. Hätte er bloß die anderen überredet, gemeinsam mit ihm vorzugehen. Aber was hätte das schon genützt? Unbewaffnete Männer gegen so einen Schlägertrupp.
Endlich fand Gerhard eine Comedy. Genau das Richtige, um sich abzulenken.

©Annette Paul