Sonntag, 15. Februar 2015

Prinz im Blumenladen



„Raja, beeil dich, sonst hat der Laden zu, bevor wir dort sind.“ Oma steht im Flur und ruft. Und bevor Rapunzel sich Gedanken machen kann, ob sie mich mitnimmt, schlüpfe ich schnell in die große Tasche ihres Kapuzenpullis.
Die Großeltern sind ganz selten zu Besuch. Und wenn sie kommen, bleiben sie selten lange. „Ihr seid uns zu anstrengend“, meint Opa immer. Ich muss ihn mal fragen, ob er mich mitnimmt. Mir ist meine Menschenfamilie nämlich auch zu anstrengend.
Ständig macht mindestens einer aus der Familie auf irgendeinem Instrument Krach. Bei zwei Erwachsenen und sechs Kindern ist das schon schlimm genug. Zudem streiten sie sich lautstark, wer das arme Klavier zuerst quälen darf. Oder wer die Tür schließen soll. Zum Schluss bleibt sie offen und alle müssen sich die Musik anhören.
Wenn die Kinder in der Schule sind, sollte es eigentlich leise sein. Irrtum. Dann kommen nämlich die Musikschüler der Mutter. Oder sie trillert so laut, dass die Polizei anrücken müsste. Sie probt nämlich für ihre Auftritte als Sängerin.
Am besten nehmen die Großeltern nicht nur mich mit, sondern auch Rapunzel. Das würde das Nesthäkchen der Familie vor einem Gehörschaden bewahren. Und ich wäre nicht so allein.
Jetzt bin ich der Großmutter dankbar, dass wir einkaufen gehen und ich dem Lärm entkomme. Eine Weile schweigen die beiden. Schließlich meint Großmutter: „Herrlich, diese Ruhe.“
Rapunzel fasst ihre Hand und hüpft neben ihr her. Mir wird ganz schlecht von dieser Schaukelei. „Morgen wird es wieder besser. Rosenrot meinte, wir müssten etwas zum Valentinstag einüben. Zorro hat sie zwar ausgelacht und gemeint, Valentinstag ist kein Feiertag, Und Winnetou meinte, es ist nur für Verliebte. Aber Rosenrot wollte unbedingt, dass wir etwas vortragen“, erzählt Rapunzel. Rosenrot, Zorro und Winnetou sind Rapunzels Geschwister. In dieser verrückten Familie haben alle verrückte Spitznamen.
„Hm, sonst macht ihr aber auch immer viel Krach“, sagt Oma.
„Dann spielt doch mit. Oma, du kannst mit mir flöten. Zu zweit macht es viel mehr Spaß.“
Oma macht ein Gesicht, als würde es ihr keine Freude machen. Deshalb hält Rapunzel lieber ihren Mund. Und dann erreichen wir auch schon den Blumenladen. Hier duftet es nach Frühling. Überall stehen Eimer mit ganz vielen Blumen. Tulpen, Osterglocken, Rosen und was weiß ich.


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Sonntag, 1. Februar 2015

Jung geblieben




„Sie sind die berühmte Beate Fuchs? Nein, das kann nicht sein. Sie müssen ihre Tochter sein.“ Der junge Mann sah sie irritiert an.
„Doch, doch, ich bin‘s wirklich.“ Huldvoll lächelte Beate ihn an.
„Beate Fuchs muss im Alter meiner Mutter sein.“
Eher seiner Großmutter, aber das behielt Beate lieber für sich. „Ich habe gute Gene, meine Mutter und meine Großmutter sind auch lange jung geblieben.“
„Beneidenswert. Und wie Sie noch immer tanzen können. Da können die meisten jungen Frauen nicht mithalten.“ Er reichte ihr die Autobiografie, die er eben gekauft hatte. Sicher für seine Mutter.
„Ich trainiere auch jeden Tag.“ Allerdings musste sie dazu vorher Schmerztabletten schlucken und jeden Tag dauerte es etwas länger, bis sie warm und beweglich wurde ... Auch das brauchten ihre Fans nicht zu wissen. Nicht einmal ihrer Familie ging es etwas an. Und die Rollenangebote wurden auch spärlicher.
Mit einem Lächeln schrieb sie eine Widmung, obwohl sie kaum noch den Stift halten konnte. Höchste Zeit, die nächste Tablette zu nehmen. Er war der letzte Fan gewesen. Der Buchhändler begleitete ihn hinaus. Als er ihr den Rücken zuwandte, stemmte sich Beate mit der Hand am Tisch hoch und lief ein paar unsichere Schritte, bis die Gelenke wieder warm wurden.
„Gehen wir gemeinsam essen, oder wollen Sie sich lieber ausruhen?“
„Nein, ich habe einen Bärenhunger.“
„Ich habe einen Tisch beim Italiener reservieren lassen.“
Beate stöckelte an seiner Seite über den Rathausplatz ins Restaurant. Dort verschwand sie im Waschraum, schluckte eine Schmerztablette, dann puderte sie sich neu. Die Falten wurden tiefer. Sie brauchte unbedingt einen Termin beim Schönheitschirurgen. Diesmal wollte sie sich allerdings nicht liften lassen, damit ihr Gesicht nicht zu maskenhaft wurde. Nein, er sollte lieber das Wundermittel Botox spritzen. Ob es für den Hals endlich etwas gab? Und für ihre Hände? Morgen würde sie erst einmal zum Haarefärben gehen.
Sie seufzte, mit den Kontaktlinsen kam sie gut zurecht, aber ein Hörgerät war ihr trotz der Kunst ihres Coiffeurs zu auffällig. Und ohne ging in ihrem Beruf leider nicht mehr. Schließlich musste sie verstehen, was die Leute sagten.
An der Tür drehte sie sich noch einmal um. Doch, auf ein paar Metern Entfernung wirkte sie wirklich jugendlich. Der junge Mann hatte recht. Lächelnd ging sie in den Gastraum zurück.
©Annette Paul